Über Intelligenz

„Intelligenz“ ist in aller Munde, heute vielfach im Zusammenhang mit „künstlicher Intelligenz“, doch die Wenigsten machen sich die Mühe über Intelligenz an sich nachzudenken, nachzuforschen oder gemeinsam zu diskutieren. Man verfällt schnell in den „Sensations-Sprech“ der dystopischen Erzählungen über Intelligenzen, die gegen uns gerichtet die Vernichtung der menschlichen Gesellschaft einleiten.

Auf vielen Podien oder Gesprächsrunden aus Experten verschiedenster Bereich habe ich – auch als mitwirkender Teilnehmer – die leidliche Erfahrung machen müssen, dass keine gemeinsame Basis im Verständnis des Begriffsinhaltes von „Intelligenz“ hergestellt wurde und somit die Diskussionen ohne starkes Fundament geführt wurden.

Ich trage hier nun Fakten und Einordnungen zu diesem Begriff der Intelligenz zusammen, die zur Vorbereitung von Gesprächen nützlich sein können, oder auch für die Erweiterung von Wissen oder Sichtweisen. Man kann hier durch Kommentar ergänzen, ich selbst werde immer wieder Inhalte ändern, wie auch in allen meinen anderen Artikeln, Dinge und Erkenntnisse sind ja stetig in Bewegung.

Ich beschränke die hier dargestellten Inhalte auf menschliche Intelligenz, obwohl sie in der Biologie an vielen Stellen, sichtbar vor allem im Tierreich, auftritt. Über die Silicon Intelligenz, die künstliche Intelligenz, schreibe ich ausführlicher in einem anderen Artikel, sonst wird dieser Beitrag zu einem Buch.

Ausdrucksformen von Intelligenz

Ohne Intelligenz zunächst definieren zu wollen, schauen wir uns zunächst einige Ausdrucksformen von Intelligenz an wo sie zutage tritt. Diese Liste kann erweitert werden, sie zeigt bereits eine Eigenschaft von Intelligenz: sie ist nicht auf ein Gebiet begrenzt, sondern eine Methode, die auf vielfältige Weise in den verschiedensten Bereichen Anwendung findet:

Visuell-räumliche Intelligenz

Diese Art von Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, sich im Raum zu orientieren und Dinge zu visualisieren. Menschen mit starker visuell-räumlicher Intelligenz sind oft gut darin, Karten zu lesen, Diagramme zu zeichnen und sich an Orte zu erinnern, die sie besucht haben. Sie sind meist gut darin, komplexe visuelle Informationen zu verstehen und zu interpretieren.

Linguistisch-verbale Intelligenz

Sie bezieht sich auf die Fähigkeit, mit Worten umzugehen und Sprache effektiv zu nutzen. Menschen mit starker linguistisch-verbaler Intelligenz sind oft gute Redner und Schriftsteller. Sie können komplexe Ideen klar und prägnant ausdrücken und sind oft gut darin, andere durch ihre Worte zu beeinflussen. Das ist nicht zu unterschätzen, denn schon die Philosophin Hannah Arendt stellte fest: „Worte sind Taten“. Somit ist die sprachliche Intelligenz der Handlungsintelligenz gleichzusetzen.

Logisch-mathematische Intelligenz

Diese Art von Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, logisch zu denken, Probleme zu lösen und mathematische Konzepte zu verstehen. Menschen mit starker logisch-mathematischer Intelligenz sind oft gut darin, Muster zu erkennen, Hypothesen zu formulieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie können auch gut darin sein, komplexe Probleme systematisch anzugehen und diese in Teilschritte zu gliedern, um sie konsequent zu durchdenken.

Körperlich-kinestäthische Intelligenz

Den eigenen Körper effektiv zu nutzen und feinmotorische Bewegungen auszuführen ist ein Talent, eine Fähigkeit, die sich bis zu einem bestimmten Maß trainieren lässt. Menschen mit starker körperlich-kinästhetischer Intelligenz sind fallen oft bei Sportarten und Aktivitäten auf, die Koordination und Geschicklichkeit erfordern. Sie können auch gut darin sein, Dinge mit ihren Händen zu machen, wie zum Beispiel Zeichnen oder Handwerk, meist gepaart mit enormer Akribie und Durchhaltevermögen. Im Autismus ist dies sehr gut zu beobachten.

Musikalische Intelligenz

Diese Art von Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, musikalische Muster zu erkennen und ein Verständnis für Rhythmus, Tonhöhe und Melodie zu haben. Das ist zunächst trivial, denn derer gibt es viele. Menschen mit starker musikalischer Intelligenz sind durch ihre Werke und nicht durch ihre Person auffallende Musiker. Sie können gut darin sein, besonders innovative Musik zu komponieren oder musikalische Stücke nach Gehör zu spielen. Absolutes Gehör oder eine bahnbrechende, neue Sichtweise wie bei John Cage sind beispielhafte Eigenschaften.

Interpersonale Intelligenz

Interpersonale Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, effektiv mit anderen zu interagieren und ihre Gefühle, Motive und Handlungen zu verstehen1. Menschen mit starker interpersonaler Intelligenz sind oft auffallend gute Teamplayer und können leicht Beziehungen zu anderen aufbauen. Sie sind oft gut darin, Konflikte zu lösen und können effektiv in Gruppen arbeiten. Auch dies ist nicht unbedingt ein Zeichen von Intelligenz, es kann auch soziale Kompetenz sein, gemeint sind besonders auffällige Erscheinungen.

Intrapersonale Intelligenz

Intrapersonale Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, das eigene Selbst zu verstehen, einschließlich der eigenen Gefühle, Motive und Handlungen. Menschen mit starker intrapersonaler Intelligenz haben ein gutes Verständnis für ihre eigenen Stärken und Schwächen und können ihre eigenen Handlungen und Reaktionen gut verstehen. Auch hier, wie oben genannt, ist das Ausmaß der Fähigkeit entscheidend, um über ein Normalmaß herauszuragen und als „besondere Fähigkeit“ auffällig zu werden.

Existenzialistische Intelligenz

Existenzialistische Intelligenz bezieht sich auf die Fähigkeit, tiefe Fragen über die menschliche Existenz zu stellen und zu erforschen, wie den Sinn des Lebens, warum wir sterben und wie wir hierhergekommen sind. Menschen mit starker existenzieller Intelligenz sind oft tiefgründige Denker und können komplexe philosophische Fragen erforschen und diskutieren.

Man kann diese Liste erweitern mit sozialer Intelligenz und viel mehr, ich wollte nur ein einige wenige Beispiele nennen, um die Auffächerung zu zeigen und vor allem zu zeigen, dass sie nicht einfach, deutlich für alle sichtbar ist. Sie tritt als extreme Eigenschaft gut heraus, aber als durchschnittliche Eigenschaft ist sie ein Teil unserer Fähigkeiten, der uns vielleicht nur geschickt oder erfolgreich erscheinen lässt, obwohl die Intelligenz einen möglicherweise wesentlichen Beitrag dazu leistet.

Ausdauer und Intelligenz

Ist das nur Ausdauer oder schon Intelligenz? Eine interessante Frage, mit der man sich auseinandersetzen sollte. Hat Intelligenz etwa immer mit Ausdauer zu tun? Manche behaupten ja und beziehen sich auf die Spieltheorie, Agenten und Entropie: Der Krebs als Krankheit ist zwar an sich raffiniert, doch er gewinnt nicht das Spiel, sondern stirbt bestenfalls mit seinem Wirt, nie überlebt er ihn (außer bei den wenigen infektiösen Arten). Er spielt also ein kürzeres Spiel als sein Träger, er zerstört sogar das große Spiel, wenn er tötet. Es geht beim intelligenten Vorgehen aber darum, das längere Spiel zu spielen, d.h. seinen Gegner zu besiegen oder so lange wie nur irgendwie möglich aktiv zu bleiben. So ist auch das Vorgehen bei möglichst intelligenten Software-Agenten. Die Spieltheorie kann demnach helfen, intelligentes Verhalten aufzufinden.

Denker über Intelligenz

Da Intelligenz vielerorts in Erscheinung tritt, hat sie das auch seit Jahrhunderten und sogar Jahrtausenden getan. Deswegen kann man annehmen, Denker von damals und heute widmeten und widmen sich immer wieder diesem Thema.

Es gibt bis heute keine weiterführende allgemeingültige Definition der Intelligenz. Vielmehr schlagen die verschiedenen Intelligenztheorien unterschiedliche Operationalisierungen des alltagssprachlichen Begriffs vor. Um sich aber dennoch voranzuarbeiten führe hier einige (wenige!) Philosophen und Denker kurz mit ihren Ansätzen und Meilensteinen auf:

Aristoteles

Vor etwa 2300 Jahren machte der griechische Philosoph Aristoteles unsere erste Referenz zu etwas, das der Idee der Intelligenz nahe kommt, aber er nannte es “Vernunft”.  Bei der Vernunft, so Aristoteles, ging es darum, die menschlichen Leidenschaften zu zügeln, d.h., unsere Fähigkeit, dem Drang unserer Instinkte zu widerstehen.

Josef Gall (1758-1828)

Er versuchte mit seiner „Kranioskopie“ der Vermessung von Schädeln, auf die Intelligenz Rückschlüsse zu entwickeln. Sehr publikumswirksam auf Tourneen, aber nicht haltbar und in der Nachschau unwissenschaftlich.

Charles Darwin (1809-1882)

Im 19. Jahrhundert prägte Charles Darwin den Begriff “mentale Kräfte”, um auf die Fähigkeiten hinzuweisen, die in höher entwickelten Arten stärker ausgeprägt waren.

George Romanes (1848-1894)

Der Physiologe George Romanes führte schließlich das Wort “Intelligenz” ein, das stark von seinen evolutionären Ursprüngen beeinflusst war. Intelligenz bedeutete nun “Anpassungsfähigkeit”. Mit anderen Worten, je besser eine Person in der Lage war, sich (d.h., erfolgreich zu sein) in ihrer Umgebung anzupassen, desto “intelligenter” war sie.

Francis Galton (1822-1911)

Francis Galton verengte die Definition von Intelligenz weiter auf die Fähigkeit einer Person, Reputation und Erfolg in einem beruflichen Unterfangen zu erlangen, insbesondere in wissenschaftlichen.

Alfred Binet (1857-1911)

Im Jahr 1903 veröffentlichte Alfred Binet seine Methoden für einen “Intelligenztest”, und seine Anwendung in Schulen wurde schnell offensichtlich. Manche Definitionen von Intelligenz behaupten sie sei das, was durch Intelligenztest gemessen wird, das ist natürlich eine sehr unbefriedigende Aussage, denn ein Rückbezug ist kein Beweis, er muss immer von außen kommen.

Jean Piaget (1896-1980)

In seiner Theorie der kognitiven Entwicklung beschreibt er die 4 Stufen in denen beim heranwachsenden Kind die Entwicklung zur Intelligenz stattfindet.

Alan Turing (1912-1954)

Der britische Mathematiker, Informatiker und Logiker entwickelte 1950 den nach ihm benannten Test. Ursprünglich nannte er diesen Test “Imitation Game”. Der Test soll die Intelligenz von Maschinen nachweisen können. Im Zuge dieses Tests führt ein menschlicher Fragesteller, über eine Tastatur und einen Bildschirm, ohne Sicht- und Hörkontakt, eine Unterhaltung mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern. Der eine Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Kann der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht sagen, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden und es wird der Maschine ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt. Der Turing-Test kann auf künstliche Intelligenzen angewendet werden, ist als objektiver Test inzwischen ungeeignet, da die KIs ihn mühelos absolvieren.

Moderne Ansichten

In jüngerer Zeit haben Psychologen und Philosophen eine Vielzahl von Definitionen für Intelligenz vorgeschlagen, darunter die Fähigkeit zur Abstraktion, Logik, Verständnis, Selbstbewusstsein, Lernen, emotionales Wissen, Argumentation, Planung, Kreativität, kritisches Denken und Problemlösung. Es ist heutiger Konsens, dass Intelligenz mehr als nur die Fähigkeit zum logischen Denken oder zur Problemlösung ist. Sie kann auch kreative Fähigkeiten, emotionales Verständnis und andere Aspekte der menschlichen Erfahrung umfassen. Das Verständnis von Intelligenz ist nach wie vor ein aktives Forschungsgebiet und entwickelt sich weiter, da wir mehr über das menschliche Gehirn und seine Funktionsweise lernen, sowie immer mehr komplexe Zusammenhänge im Umgang von Menschen untereinander verstehen.

J.R. Lucas (1929-2020)

J.R. Lucas war ein britischer Philosoph, bekannt für seine Argumente gegen den Mechanismus, insbesondere im Kontext der Künstlichen Intelligenz. In seinem Aufsatz “Minds, Machines and Gödel” argumentierte Lucas, dass Gödels erstes Unvollständigkeitstheorem zeigt, dass der menschliche Geist keine Turing-Maschine ist. Mit anderen Worten, es gibt Aspekte der menschlichen Intelligenz, die nicht durch eine Maschine oder ein Computerprogramm reproduziert werden können.

Roger Penrose (geb. 1931)

Roger Penrose ist ein britischer Mathematiker und Physiker, der für seine Arbeiten zur mathematischen Physik und Kosmologie bekannt ist. Penrose glaubt, dass das Bewusstsein nicht algorithmisch ist und daher nicht durch eine konventionelle Turing-Maschine oder einen digitalen Computer modelliert werden kann. Er argumentiert, dass Computer heute keine Intelligenz haben können, weil sie algorithmisch deterministische Systeme sind. Penrose hat vorgeschlagen, dass Quantenmechanik eine wesentliche Rolle beim Verständnis des menschlichen Bewusstseins spielt.

Marvin Minsky (1927-2016)

Pionier auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI), hat bedeutende Beiträge zur Erforschung und zum Verständnis von Intelligenz und intelligenten Agenten geleistet.

In seinem Buch “The Society of Mind” (Die Gesellschaft des Geistes) aus dem Jahr 1985 stellt Minsky ein Modell der menschlichen Intelligenz vor, dass schrittweise aus den Interaktionen einfacher Teile aufgebaut wird, die er als Agenten bezeichnet. Diese Agenten sind für sich genommen gedankenlos. Minsky beschreibt die postulierten Interaktionen als eine “Gesellschaft des Geistes”, daher der Titel. Minsky glaubte, dass Intelligenz aus dem kooperativen Verhalten unzähliger Agenten entsteht, von denen keiner für sich genommen intelligent ist. Er argumentierte, dass das Verbinden dieser mentalen Agenten in Gesellschaften auf sehr spezielle Weisen zu wahrer Intelligenz führt.

Douglas Hofstadter (geb. 1945)

Renommierter Kognitionswissenschaftler und Pionier auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz, hat bedeutende Beiträge zur Erforschung und zum Verständnis von Intelligenz geleistet. In seinem Buch “Gödel, Escher, Bach ” aus dem Jahr 1979 schreibt Hofstadter über die Voraussetzungen und Grenzen der Intelligenz, insbesondere das Phänomen des Selbstbezugs – also die Fähigkeit des Denkenden, über das Denken an sich nachzudenken. Eine wichtige Rolle spielen die “seltsamen Schleifen”, die Hofstadter anhand der Zeichnungen des Künstlers M. C. Escher und der Kompositionen von Johann Sebastian Bach erläutert. Hofstadter hat auch verschiedene skeptische Positionen zur KI vertreten. Zum Beispiel schrieb er nach der Niederlage vom Schachmeister Garry Kasparov gegen das Computerprogramm Deep Blue: “Es war ein Wendepunkt, aber es hat nichts damit zu tun, dass Computer intelligent werden.”  Hier irrte er, wie er heute eingesteht.

Richard David Precht (geb. 1964)

Bekannter deutscher Philosoph, orientiert sich an Piagets Definition (siehe oben). In seinem Buch “Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens” diskutiert er die Auswirkungen der KI auf die Gesellschaft und das menschliche Leben. Für ihn ist die menschliche Intelligenz durchsetzt von Emotionen, sie sei frei nach Kant „das andere der künstlichen Intelligenz“. Er sieht kritisch an der Intelligenz das Defizit in anderen Bereichen, weil “das Leben nichts aufbaut, ohne die Steine von woanders zu holen“. Das macht er am Beispiel des Autismus deutlich, wo Höchstbegabung mit sozialem Defizit bezahlt wird. Er hält Intelligenz nicht für vererbbar, jedoch die Anlagen zum Lernen als „Schalter“ der Begünstigung zur Entstehung von Intelligenz. Ein Telefonbuch auswendig zu können (Savant) sei nicht intelligent, Intelligenz macht aus, dass man sich auch intelligent verhält.



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