Die Morphologie der Wirklichkeit
Die Wirklichkeit bekommt durch unser Denken eine Form, sie entsteht erst durch unser Denken. Diese Form ist nicht starr, möchte es aber gerne aus Effizienzgründen sein.
Wenn ich also eine Meinung gebildet habe, z.B. dass ein Objekt, welches ich gleich anhebe, aus all meiner Erfahrung wahrscheinlich schwer ist, und es dann leicht ist, bin ich überrascht und korrigiere möglicherweise dieses Muster oder stelle es in Frage. Ich verändere die Morphologie des Eindruckes.
Gefangen in Gedanken
Der Verstand arbeitet gerne unbeobachtet, eingebettet in Raum und Zeit und produziert meist vernünftige Resultate, die das Überleben zumindest scheinbar sichern. Den Denkprozess mit einer übergeordneten Instanz zu beobachten, widerspricht dem immersiven, eingebetteten Sein des Gedankens: selbst in unseren Gedanken gefangen, fällt es uns schwer die Dimensionen des Denkens zu verlassen, bzw. das Denken zeitgleich von einer übergeordneten Dimension aus zu betrachten und sogar zu analysieren. Zugleich weiß jeder, dass es diese übergeordnete Dimension der Betrachtung gibt, ein komisches Gefühl welches uns bei einer Entscheidung begleitet, manche nennen es Intuition. Intuition ist wie ein zweites Weltbild, vielleicht kommt es zum Teil von ausserhalb, da es ja mit unserem rationalen Weltbild zuweilen nicht übereinstimmt.
Zeitgeist
Unsere Gedanken sind zwar Individualisten, wir meinen sie gehören nur uns und sind Einzelgänger, jedoch formen die Gedanken von vielen Menschen in einer Gruppe, einer Region, einer Kultur, einer Nation einen Metagedanken, den Zeitgeist. Der Zeitgeist bildet den Durchschnitt der gemeinsamen Gedankenformen und hilft uns beim Wirklichkeitsaufbau, bei der Bildung unseres Realitätseindruckes. Ein Aspekt des Zeitgeistes ist das Lebensgefühl, ein Gefühl welches stark durch die Wirklichkeitsausprägung durch die verwendete Fremd/Muttersprache geformt wird.
Ahnung
Ahnung wiederum entsteht durch offenes Denken, einer offenen Verbundenheit mit dem Denken außerhalb unseres Körpers, dem großen Ganzen.
„Ist das noch Meinung oder schon Ahnung?“
Vielfalt
Zum Schutz vor Überlastung gibt es das Ausblenden, das Entschärfen von Eindrücken, so sehr, dass sie verblassen oder nicht mehr bewusst wahrgenommen werden. Mit Beruhigung des Geistes verschwindet die störende und unwirkliche Vielfalt der Dinge.
Was ist das für eine Vielfalt? Wieviel Vielfalten gibt es? Gibt es nur eine Wirklichkeit oder viele?
Potenz, Potenzial, Potenzialität
Die Vielzahl der Wirklichkeiten: Wirklichkeit ist nicht Realität, sondern Potenzialität
Wenn wir unserer Ansichten ändern, könnten wir auch sagen, wir verändern unsere Wirklichkeit, oder wir wechseln in eine andere, potenziell vorhandene Wirklichkeit. Wenn Sie also z.B. eine Gewohnheit ablegen und z.B. nur noch alkoholfreie Getränke zu sich nehmen, dann haben sie in dieser Wirklichkeit nie alkoholische Getränke getrunken. Das ist, als seien Sie auf ein anderes Schienengleis gewechselt, welches bisher parallel zu Ihrer Schiene lag und von Ihnen unbenutzt war. Potenziell war sie aber immer da. So kann man sich die nebeneinander liegenden Realitäten, die ihrerseits multidimensional sind, vorstellen.
Eine parallele Realität neben der meinigen bringt mir rein gar nichts, nur der Wechsel in jene ist interessant und die Frage, ob es einer Weiche bedarf, um auf das neue Gleis zu wechseln, oder ob das immer schlagartig geht, wie in dem Wechsel (Quantensprung) von Elektronenschale zu Elektronenschale von Nils Bohr (das wird von mir ausführlicher beschrieben in einem Artikel über Quantenphysik).
Ein Wechsel ist gar nicht so schwierig, wenn man begreift, dass es ein Sprung ist und keine Weiche. Es gibt den Spruch: „Du musst erst eine Tür schließen, bevor die nächste aufgeht“, das veranschaulicht die Multiversums-Theorie ganz gut, warum? Durch das Schließen einer Tür wird gebundene Energie frei, die nun wie bei den Elektronen zum Schalensprung, zum Quantensprung, zum Realitätswechsel verwendet werden kann.
Funktionale Fixierung – Reframing
Andererseits kann man sich aber auch die Möglichkeit der Realitätsänderung nehmen, sich vor den Möglichkeiten, die sich zu jedem Zeitpunkt bieten verschließen. Dies vor allem durch das „verschlossen“ sein, zum Beispiel durch funktionale Fixierung. Was bedeutet das?
Nun, wenn man zum Beispiel ein Ding nur als ein solches sieht und sich der Bedeutung dieses Dinges zu anderem Zwecke verschließt, dann kommt man nicht auf innovative Lösungen, die die Wirklichkeit neu formen. Man merkt das beim Lösungsversuch kniffliger Puzzles. Wer kennt noch aus dem Fernsehen Mac Guyver, der sich mit unscheinbaren Objekten aus jeder noch so schwierigen Situation befreien konnte, indem er sie auf neue Art miteinander nutzte?
Die Methode, bekannt unter dem Begriff „Reframing“ ist letztlich ganz einfach: zunächst entkoppeln sie das Objekt von seiner Gefangenheit in ihrem Denken und sehen es losgelöst von seinem bisherigen Zweck, damit öffnet sich der Wahrscheinlichkeitsraum mit seinen Potenzialitäten. Nun kommt die Dekohärenz, die Verdichtung auf eine neue Variante aus den Möglichkeiten und somit eine Realitätsänderung, die zur Problemlösung beitragen kann. Eine neue Bedeutung wurde geschaffen.
Manch einer kennt das aus dem Alltag: Viele elektrische Geräte habe ein winziges Loch zum „Resetten“, zum Zurücksetzen auf Werkseinstellungen. Ich zumindest brauche diese Funktion immer wieder, ist sie doch oft die einzige Möglichkeit, ein Gerät zum beabsichtigten Laufen zu bringen. Dieses Loch ist oft zu klein für einen Kugelschreiber und daher nimmt man das, was in der Nähe liegt, bei mir sind es die alten Büroklammern. Eine aufgebogene Büroklammer (entkoppelt von ihrer Funktion als Büroklammer, ist sie nur ein gebogenes Stück Draht) passt so aufgebogen und damit gerade, durch das Loch und bietet genug Steifigkeit, um den innenliegenden Reset Knopf zu drücken. Eine auf dem Tisch liegende, nun aufgebogene Büroklammer, hat gänzlich ihre Bedeutung als Büroklammer verloren, sondern ist nun ein Gerät zur Zurücksetzung hoffnungslos verfahrener Elektronik. Die Büroklammer wurde in unserem Denken „reframed“.
Kippbild
Wenn wir also die Elemente unserer Wirklichkeit verformen können, was hat das für eine Auswirkung auf die Zusammensetzung all dieser Wirklichkeit(en) zu einem Weltbild, zu unserem Weltbild?
Wahrnehmung wird für uns immer eindeutig gemacht. Das hatte Gründe, die für uns beim Überleben wichtig waren, die Zweideutigkeit einer Situation ist unerwünscht und konnte tödlich enden. Wir sehen das heute in einfachen Versuchsaufbauten und kennen es vom allseits bekannten „Kippbildeffekt“, bei dem eine Zeichnung entweder so oder so wahrgenommen wird, aber beide Wahrnehmungen nicht gleichzeitig stattfinden können.
Weltbild
Im Gegensatz zu unserer Wahrnehmung muss unser Weltbild in einer Situation nicht kongruent sein. Unser Weltbild kann durchaus unterschiedliche Weltbilder in einem Gesamtbild vereinen, wobei sich die einzelnen Bildbestandteile sogar widersprechen können. In einem anderen Artikel über die balancierte Identität führe ich diesen Gedanken weiter aus.
Die einzelnen Weltbilder und das Gesamtbild bestimmen das, was wir wahrnehmen. Das ist eine sehr faszinierende Erkenntnis, wir kommen mit ihr scheinbar aus unserem System heraus, wir können scheinbar die „Matrix“ formen. Um die Wahrnehmung zu erweitern oder zu verändern, müssen wir an unserem Weltbild arbeiten, das hat dann die gewünschte Rückwirkung auf die Wahrnehmung.
Die Veränderung unseres Weltbildes wird von Kulturen und ihren Institutionen unterstützt, solange es diesen dienlich ist und eingeschränkt, wenn es sie gefährdet. Man denke nur an die Geschlechterrollen und Geschlechtertoleranz, das Geschlechtsverständnis in den jeweiligen Kulturen und Nationen.
Die digitale Filterblase, das Vorselektieren von Information von der Außenwelt durch Filter der Digital-Industrie führt zur Verstärkung und Verfestigung von bestehenden Interessen, anstatt zur Weckung und Entdeckung neuer Interessensgebiete. Letztlich wird das Weltbild des Einzelnen durch Dienste und Behörden verfestigt, zu deren eigennützigen Ziel der Kontrolle, Beherrschung und Ausbeutung des Individuums.
Das Weltbild ist die Bühne unserer Wahrnehmung, auf der sie sich frei bewegt und ihren Prozess des Denkens aufführt. Je mehr Freiheit wir uns zutrauen, je mehr Kreativität und kindliches, noch nicht blockiertes Denken wir uns bewahren oder antrainieren, desto erfolgreicher sind wir in der kontinuierlichen Umgestaltung unseres Weltbildes und damit auch der Wirklichkeit.
Sprache ist Ausdruck eines Weltbildes, darüber aber in einem anderen Beitrag.