Schwerkraft und Kunst

Schwerkraft oder Gravitation ist mir erstmals wirklich ins Bewusstsein gekommen, als ich lernte, dass unser Mond für den Wechsel der Gezeiten, also Ebbe und Flut verantwortlich ist.

Mittlerweile verstehe ich deswegen, dass auch die viel größere, aber weiter entferntere Sonne unsere Ebbe und Flut beeinflusst, unsere Erde verformt. Letztlich wirken alle Massen des Universums auf uns, unsere Ozeane, auf unseren Planeten, wegen ihrer Entfernung nur unwesentlich, da diese Kraft mit der Entfernung stark abnimmt. Aber sie wirken, und das universale Prinzip, dass alles mit allem verbunden ist, wird uns immer wieder begegnen.

Der Grund, warum wir nicht von der Erde herunterfallen, ist die Gravitationskraft, die Schwerkraft, die uns zum Mittelpunkt der Erde zieht. Diese Kraft wirkt auch auf die Menschen auf der mir nun gegenüberliegenden Seite der Erdkugel, in Australien. Eigentlich ist diese Kraft nicht wirklich stark, lässt sie sich durch Hüpfen oder durch geschickte Konstruktion eines Papierfliegers zumindest vorübergehend überwinden. Trotzdem ist sie für unser Alltagsleben sehr bedeutend, denn wir können uns mit ihrer Hilfe zum Beispiel wiegen, sicher fortbewegen, ballspielen und Unterschiede zu früheren Messungen feststellen. Wobei wir auf Meeresniveau mehr wiegen als auf den Alpen, da wir weniger weit vom Erdkern entfernt bin, am Äquator wiegt man weniger wegen der Zentrifugalkraft der Erddrehung, glücklicherweise mit einem, im Alltag nicht relevanten, doch vorhandenen Unterschied. Die Erde ist übrigens keine Scheibe.

Kleine Wunder, große Wirkung

Hmm. immer wenn ich meine, ich hätte etwas verstanden, merke ich, dass es dort weitergeht und die Feinheiten immer feinkörniger werden, aber da sind. Ich kann den Staub auf einem Schreibtisch ignorieren, er mag irrelevant sein, aber er verändert die Licht- und Klangeigenschaften des Tisches und des Raumes, das Gewicht, hinterlässt Spuren der Benutzung und vieles mehr. Überall entstehen im Kleinsten Vorgänge, die große Veränderungen bewirken – oder auch nicht. Wenn aber überall „kleine Wunder“ passieren, wie groß muss ein Wunder werden, dass es wahrgenommen werden kann?

Entsteht Gravitation auch dort „im Kleinen“? Woher kommt die Gravitation, wie entsteht sie, warum wirkt sie nur anziehend und niemals abstoßend? Würden wir es sofort merken, wenn der Mond weg wäre, oder verzögert? Hat die Gravitation eine messbare Geschwindigkeit oder ist sie unmittelbar?

Die Masse ist wohl entscheidend, also sehen wir sie uns mal an: je massiger ein Objekt, desto schwerer ist es und desto mehr Gravitationskraft erzeugt es in der Anziehung andere Objekte. Ok, das ist halbwegs befriedigend als Erklärung und vorstellbar, wenngleich ich den Ursprung dieser Kraft früher nicht verstand. Beim doch recht großen Mond, der um uns kreist, kann ich mir vorstellen, dass er das Wasser unserer Ozeane leicht abhebt, wohl auch die Erdmasse, aber bei der merkt man es ja nicht so sehr.

Dass der Mond die Raumzeit krümmt, konnte ich mir damals noch nicht vorstellen, das ist ja schließlich ein nicht alltäglicher Gedanke. Diese Krümmung der Raumzeit konnte man inzwischen durch die Beobachtung von Gravitationswellen bei der Verschmelzung zweier schwarzen Löcher nachweisen. Darüber später mehr.

Kunst und Schwerkraft?

In vielen künstlerischen Disziplinen, einschließlich Malerei, kinetischer Kunst und nur beispielsweise auch der Textilkunst, tritt sie sichtbar zutage und ist gewollt oder ungewollt ein gestaltendes Element. Die Schwerkraft ist ein wesentlicher Faktor in vielen künstlerischen Disziplinen und Künstler nutzen sie bewusst oder unbewusst, um einzigartige und faszinierende Werke zu schaffen.

In der Malerei beeinflusst die Schwerkraft die Art und Weise, wie Farbe auf einer Oberfläche fließt und sich verteilt. Bei der Pouring-Technik zum Beispiel wird flüssige Farbe auf eine Leinwand gegossen und die Schwerkraft bestimmt, wie sich die Farbe ausbreitet und oft marmoriert mischt. Die Schwerkraft kann auch dazu genutzt werden, um einzigartige Effekte zu erzeugen, wie z.B. das Herabtropfen und Auftreffen von Farbe auf einer flachen oder geneigten Oberfläche. Die Technik des sogenannten „Drip Paintings“ wurde von Jackson Pollock entwickelt und geprägt. Dabei wird flüssige Farbe auf eine flachliegende Leinwand getropft, geschleudert oder gespritzt. Die Schwerkraft spielt hier eine entscheidende Rolle. Die resultierenden Werke betonen zudem oft den physischen, dynamischen Akt des Malens selbst als wesentlichen Aspekt des fertigen Werks. Schwerelos wäre das nicht möglich.

Andy Warhols “Piss Paintings” sind ein weiteres faszinierendes Beispiel dafür, wie die Schwerkraft in der Kunst als kreatives Werkzeug genutzt werden kann. In dieser Serie von Werken, die auch als “Oxidation Paintings” bekannt sind, hat Warhol Leinwände auf den Boden gelegt und sie mit Kupferfarbe beschichtet, bzw. Kupferplatten ausgelegt. Dann hat er seine Assistenten oder Besucher der Factory dazu aufgefordert, darauf zu urinieren. Die Schwerkraft spielte dabei eine entscheidende Rolle, indem sie die Flüssigkeit auf und über die Oberfläche der Leinwand führte und so einzigartige Muster und Texturen schuf. Die Säure im Urin reagierte mit der metallischen Farbe und verursachte eine Oxidation, die die Farbe veränderte.

Die kinetische Kunst – als Kunst der Bewegung ein bedeutender Teil der Installationskunst und skulpturalen Kunst – nutzt die Schwerkraft, um Bewegung in Kunstwerken in Verbindung mit ausbalanciertem Gleichgewicht, Motoren oder Umwelteinflüssen wie zum Beispiel Wind zu erzeugen. Kinetische Skulpturen, verbreitet sind Mobiles, sind so konstruiert, dass sie das Prinzip des Gleichgewichts nutzen. Sie bestehen aus einer Reihe von Stäben, an denen gewichtete Objekte oder weitere Stäbe hängen. Die hängenden Objekte balancieren sich gegenseitig aus, so dass die Stäbe mehr oder weniger horizontal bleiben und sich z.B. durch Wind bewegen. Künstler wie Alexander Calder sind bekannt für ihre ausgeklügelten kinetischen Skulpturen. Das sehr beliebte Windspiel nutzt ein ähnliches Prinzip, um bezaubernde Klangerlebnisse zu schaffen, es bliebe stumm ohne Schwerkraft.

In der skulpturalen Kunst und der Land Art nutzen Künstler wie Cornelia Konrads die Schwerkraft, um Illusionen von Schwerelosigkeit zu erzeugen. Sie stapelt Objekte wie Holzstämme, Zäune und Türen auf so raffinierte Art, dass sie in der Luft zu schweben scheinen.

Marcel Duchamp hat die Schwerkraft und ihre Wirkung auf Objekte bereits 1913/14 im eindrücklichen Werk: “3 Standard Stoppages” benutzt und mit drei aus einem Meter Höhe fallenden Schnüren von je einem Meter Länge ein Meisterwerk der Konzeptkunst erschaffen. Ohne Schwerkraft gäbe es keine “Stoppage”.

In der Textilkunst beeinflusst die Schwerkraft die Art und Weise, wie Stoffe fallen und sich falten. Die Darstellung von Falten in Stoffen erfordert ein Verständnis dafür, wie die Schwerkraft auf verschiedene Materialien wirkt. Schwere Stoffe oder spezielle Nähte erzeugen beispielsweise Falten unterschiedlicher Volumen und Breite. Bis heute werden solche Textilwerke in Bewegung auf dem Laufsteg zur Schau gestellt.

Künstler wie Michelangelo und Leonardo da Vinci waren Meister in der Darstellung von gefalteten Stoffen in ihren Gemälden und man ahnt deren Gewicht oder Leichtigkeit, selbst wenn sie in Marmor gemeißelt waren. Sie arbeiten mit unserer Erfahrung von Schwerkraft und führen uns in eine Illusion.

Auch in der Ballonkunst, bei Schwarmkunst mit Quadrokoptern, bei fallenden Stoffen oder Folien, bei Bändern, die durch Ventilatoren am Schweben gehalten werden spielt die Schwerkraft eine entscheidende Rolle. Künstler müssen die Auswirkungen der Schwerkraft auf ihre Kreationen berücksichtigen, um sicherzustellen, dass ihre Kunstwerke im Ablauf so aussehen, wie sie es beabsichtigen. Jeff Koons’ “Balloon Dog” ist ein bekanntes Beispiel für ein Kunstwerk, das die Form eines aufgeblasenen Ballons nachahmt und mit der Illusion von Schwerkraft und Luftdruck spielt. Hier zeigt sich, dass die Kunst Grenzen verlassen kann und auch von außen auf ein Geschehen zeigen kann, um die Sichtweise auf Dinge (hier humorvoll) zu ergänzen oder sogar zu verändern.

Dies ist nur eine kurze Aufzählung von wenigen Bereichen, in denen die Schwerkraft gestalterisch Einfluss nimmt oder Gestaltungsmittel ist, es gibt vielerlei mehr und der geneigte Leser wird neue Ideen dazu haben, jetzt wo er seinen Blick dafür geöffnet hat. Wo entdecken Sie Schwerkraft in der Kunst?

Wie kommt es zur Schwerkraft?

Stellen Sie sich vor, ein Apfel hängt an einem Baum. Plötzlich, wohl aus kleinsten Gründen, die auf Quantenebene Ihren Ursprung haben, löst er sich vom Ast und folgt der Schwerkraft. Aber warum nach unten? Nun, hier ist die Schwerkraft der Erde am Werk, die wundersame unsichtbare Kraft, die uns anzieht, mehr als die des Mondes oder der zwar größeren, aber viel weiter entfernten Sonne.

Die Schwerkraft ist durch die Physik erklärt eine fundamentale Wechselwirkung, die eine gegenseitige Anziehung zwischen allen Dingen mit Masse verursacht. Sie ist bei weitem die schwächste der vier fundamentalen Wechselwirkungen und hat daher keinen signifikanten Einfluss auf subatomare Partikel. Aber auf makroskopischer Ebene bestimmt sie die Bewegung von unserem Apfel, von Planeten, Sternen, Galaxien und sogar dem masselosen Licht.

Die Geschichte der Schwerkraft begann mit Aristoteles, der glaubte, dass Objekte aufgrund ihrer inneren Schwere (Gravitas) zu einem Punkt tendieren. Dann kam Galileo Galilei und fand heraus, dass alle Objekte im freien Fall gleich beschleunigen. Isaac Newton formulierte schließlich sein Gesetz der universellen Gravitation, dass bis zum frühen 20. Jahrhundert Bestand hatte, bis Albert Einstein die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie entwickelte.

Auf der Erde gibt die Schwerkraft (1 g) physischen Objekten Gewicht. Auf anderen Planeten erfahren Objekte unterschiedliche Intensitäten der Schwerkraft und haben daher unterschiedliche Gewichte. Zum Beispiel ist die Schwerkraft auf dem Mond geringer, etwa 0.17 g, auf dem Mars etwa 0,37 g, während sie auf dem Jupiter stärker ist und etwa 2.53 g beträgt.

Man könnte also anhand der Tropfenverläufe bei einem nass gemalten Bild den Planeten errechnen, auf dem es gemalt wurde. Das ist bei Fälschungen in der Zukunft vielleicht relevant, ein amüsanter Gedanke.

Schwerkraft, eine Illusion?

Wie immer ist das mit der Schwerkraft nicht ganz so einfach wie es scheint. Albert Einstein bewies, dass Schwerkraft keine Kraft im eigentlichen Sinn ist, sondern die Krümmung der Raumzeit. Sie haben vermutlich schon einmal davon gehört: Raum und Zeit, diese beiden Dinge, die wir alle für selbstverständlich halten, sind tatsächlich untrennbar miteinander verknüpft und bilden das, was wir als Raumzeit bezeichnen.

Und was bedeutet das für unsere geliebte und vertraute Schwerkraft? Nun, laut Einstein ist die Schwerkraft das Ergebnis der Krümmung der Raumzeit durch Masse. Das ist harter Tobak, aber ich versuche es bildhaft zu beschreiben: Stellen Sie sich die Raumzeit als ein elastisches gitterförmiges Gummigewebe vor, auf dem alle Objekte des Universums liegen. Je massereicher das Objekt, desto tiefer sinkt es in dieses Gewebe ein und krümmt es um sich herum. Und genau diese Krümmung ist es, die wir als Schwerkraft wahrnehmen. Ich gebe zu, es ist ein wenig kompliziert, dies in die eigene Wahrnehmung von der Welt einzubauen, zumal das Gewebe nur in dem gerade beschriebenen Modell quasi flach und eingedellt ist, in Wirklichkeit aber ein räumliches Gitter Verformungen in alle Richtungen bildet. Das masselose Licht wird zwar von der Schwerkraft nicht angezogen, gleitet aber entlang der Krümmungen, das ist für die Entzerrung der astronomischen Beobachtung sehr wichtig.

Aber warten Sie, es wird noch besser: Einstein sagte voraus, dass wenn zwei sehr massereiche Körper sich bewegen, sie „Wellen“ im Raum-Zeit-Kontinuum erzeugen würden; außerdem würden sich diese Wellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Diese Wellen, genannt Gravitationswellen, wurden tatsächlich im Jahr 2015 zum ersten Mal direkt nachgewiesen. Er hatte recht, wir kommen nicht umhin, die Schwerkraft ist eine Raumzeitkrümmung.

Selektive Schwerkraft

Gibt es selektive Schwerkraft, also Schwerkraft, die einem Zufall oder einer Absicht folgt? Fast könnte man das behaupten. Sie kennen vielleicht Murphy’s Gesetz: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen”. Eine Erfahrung, auch von mir, ist: „ein fallengelassenes Objekt fällt immer dort hin, wo es den größten Schaden nimmt, anrichten kann, am schwersten zugänglich oder am unsichtbarsten ist.“ Das belegte Brot fällt immer mit der Marmeladenseite auf den Boden…..

Lassen Sie uns das mal ansehen: Die Schwerkraft ist eine konstante Kraft, die immer in eine Richtung wirkt – bei uns auf der Erde nach unten, hin zum Erdmittelpunkt. Sie „entscheidet” nicht, wo Dinge landen oder welchen Weg sie nehmen. Aber wenn Dinge schiefgehen (wie sie es oft tun), neigen wir dazu, Muster zu sehen und zu glauben, dass die Schwerkraft irgendwie gegen uns arbeitet, selektiv ist. So entsteht Aberglaube, glücklicherweise ist es in Wirklichkeit nicht die Schwerkraft, die “selektiv” ist, sondern unsere Wahrnehmung der Ereignisse.

Kunstgenuss mit Schwerkraft

Jetzt fragen Sie sich vielleicht: “Was hat das alles mit meinem Kunstgenuss oder mit meiner Kunst zu tun?” Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Künstler, der Farbe auf eine Leinwand gießt und die Wahl hat es unter verschiedenen Schwerkräften zu machen. Sie entscheiden sich aus künstlerischen Erwägungen für die Anfertigung des Kunstwerkes auf der Erde. Die hiesige Schwerkraft bestimmt nun, wie sich die Farbe ausbreitet und mischt, sie müssen das beim Farbauftrag und der Menge berücksichtigen und um es gut zu machen brauchen Sie viel Erfahrung. Die hiesige Schwerkraft beeinflusst, wie sich Ihre kinetische Skulptur bewegt, das erfordert Fingerspitzengefühl und ebenso viel Erfahrung und Wissen.

Das nächste Mal, wenn Sie ein Kunstwerk betrachten, denken Sie an die unsichtbare Hand der Schwerkraft, die bei der Entstehung im Hintergrund wirkte oder bei Bewegung wirkt. Und das nächste Mal, wenn Sie sich fragen, warum Äpfel vom Baum fallen, sinnieren Sie vielleicht: Der Apfel wird nicht von dem Erdmittelpunkt angezogen, sondern gleitet die Raumzeitkrümmung zum Erdmittelpunkt hinab…



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